Nach verschiedenen Versuchen faszinierten mich die unter Words herauskristallisieren Sätze meiner Dialogpartner*innen am meisten. Obwohl nur Text und damit auch sprachabhänging, ergaben sie die viel stärkeren Bilder zum Thema, als die pixel- und tonbasierten Ansätze.

Auf den Spuren des Schmerzes begann ich frei zu komponieren, zu fragmentieren und zu mischen.

Das Resultat dieser Untersuchungskette sind die visuell umgesetzten Transkripte und der Textfilm auf der Einstiegseite dieser Exposition.

 

Gestures

00:01:24.145

Gesture Backhead

00:01:55.253

Gesture while describing

00:06:21.342

Origen Gesture: she cannot tell if the pain is coming from the neck or the head

00:06:39.368

Gesture of "Headache" while saying, nono its fine

00:12:54.645

Eye-rolling, thinking face (looks like she "scans" interiorly her pain experiences

00:22:52.798

Gesture of the path the pain takes 

00:23:41.446

Waves coming through the whole body

00:25:16.256

Gesture Hands on Face

00:30:03.172

Facial expression of "guilt"... everytime I get stressed, I don't know if I start it

00:30:56.286

Facial expression of "pressure"

 

 

 

Words

00:02:34.279

I lost Time and Space, where am I,

00:06:15.127

This Starts when I am stressed

00:06:38.745

The Doctors said: nono its fine, you don't have anything

00:07:04.230

Nothing worked, no painkillers worked, started vomiting

00:09:04.317

still, if I get a slight headache, I get panicked

00:09:43.533

then stress, in very stressful situation it is coming back. I have this muscle spasms and then it starts 

00:10:00.411

For me it is all connected with my experience of pain, but for the doctors it was two different things.

00:11:17.351

two different causes, but the experience is one

00:12:19.896

it is fine, it is normal, women have it

00:17:35.603

this is also funny, you can't just go to the doctor and tell him , what is wrong with me. its their job to search for it, I am not specialized. For me I was so upset after all this happens, I went for so many years to all these doctors to have these scans and all of this... 

00:19:20.839

we are not "trained" to be patients, Doctors are trained medical specialists. –>anm. could there be a way to help people becoming "trained" patients? 

00:20:27.851

Even I don't feel any difference, I feel obliged to say something (to the doctor)

00:22:09.117

Paralizing

00:22:44.856

don't Stand Light, noise, can't talk to anybody

00:23:20.100

I remember walking in the streets and laughing because of so much pain

00:24:07.257

I went to the hospital and they said, ah no, its just nothing

00:25:07.817

It was not possible, because I needed to...

00:25:25.192

I tried to fight it, but then I ended up the 3rd time in the emergency in one day

00:27:29.787

As soon as I feel a bit better, then I…

00:28:29.849

They insisted, that I should take a lot of tranquilizers

00:28:42.756

But I wanted to stop it, because it doesn't help me. Then I started to feel a little bit better, without all this bluriness of the tranquilizers.

00:30:53.804

I also have this memory of crying a lot, all these pressure in my head

00:31:11.178

I was so happy when they found out. it was so crazy, because ONE could explain it!

00:31:48.904

I had to let go out my voice with the breathing out, otherwise I could not relax, not in a screaming way, but with sound. No pain killer would help

00:33:40.095

I think it would take everything, all the circles of the spiral

00:34:04.420

Its tiny, because you are just one person, but at the same time its huge, because it takes everything.

00:37:08.582

This pain was everywhere!

 

 

 

Information

00:03:21.223

Diagnosis/Cause found: malfromation in the nerves of the brain

00:03:41.868

side Pain: Neckpain Syndrome

00:04:09.299

Medical Term of Cause: https://en.wikipedia.org/wiki/Arteriovenous_malformation

00:04:18.348

Medical Description: probably born with it, but very rare, so not well researched 

00:05:59.589

Brain Surgery  

00:07:34.684

it creates aneursims https://de.wikipedia.org/wiki/Aneurysma

00:08:06.239

Operation: Skull opening, later radio-therapie, wie bei Krebs, weil die malformation immernoch da war.

00:08:53.398

Still having headache sometimes, but not this terrible, devastating one which no painkiller would work

00:09:22.188

First occasion of the pain/probably the beginning: dancing, when I was younger, then I had an injury in the bac

00:20:18.917

Story about going to the optician: feeling obliged to answer something even she doesn't see any difference...

00:21:58.196

Description of how it feels

00:25:14.269

I tried to fight it… its not so strong its not so strong… then I ended up to the emergency the third time in one day. But its strange, I don't know if I would be able to see the limits, I would always be pushing until the moment, that is like… I can not do anything from here, until the edge, the very edge. Like I couldn't say for example I am in pain, but what is more important: to take care of my mother is more important than this… and then I was sure, that I could do it, it could take care of her. But then I, a few days later, you get that information, that your brain was bleeding. Its very… there is no balance somehow for me, at least there was no balance in pain management. I had no limits, I always thought, I could take more and more and more…

00:32:14.717

Video/audio outtake: letting go the breath with voice

 

„Es ist eine Penrose-Treppe – man geht mal aufwärts, oder abwärts und kommt komischerweise immer wieder am selben Punkt vorbei, und zwar vorbei, nicht an. Es ist kein Losgehen und Ankommen, es ist ein ständiges, zyklisches Vorangehen mit fraktaler Musterbildung. Mal ein bisschen so mal ein bisschen so, aber insgesamt ist der Schmerz wahrlich ein treuer Hund Friedrich Nietzsche es in dem 1882 veröffentlichten Buch ,Die fröhliche Wissenschaft’ beschrieb, der auch nicht geht, wenn man ihn mit Steinen bewirft. Der trotzdem beisst, auch wenn man ihn tugendhaft füttert und mit regelmässiger Aufmerksamkeit umsorgt.”

„Hat sehr abgeklärt über ihre Krankheit gesprochen, auch wenn sie diese immer noch zwei mal pro Monat heimsucht. Es ist Teil von ihr. Im Moment des Schmerzes ist sie ganz Schmerz, nur noch der Kopf im Schmerz existiert, der Rest des Körpers ist vergessen und sensorisch abgekoppelt. Genauso vergessen und abgekoppelt ist ,ihr Schmerz’ an allen Tagen, wo sie keine Migräne hat. Wie weggeblasen, nicht mehr nachvollziehbar, wie ,unmenschlich’ sie sich im letzten Schmerz gefühlt hatte.”

Muster und Rhythmusanalysen des Materials mit der Slitscan-Technik. [a]

Ich verwende diese Technik seit vielen Jahren als abstrakte Dokumentation von Orten, Geschehnissen und Plätzen und erstelle eine Art visuellen Zeitgraph über die dokumentierte Bewegung.

Mehr Arbeiten mit dieser visuellen Methode

Nach abgeschlossenen Gesprächen machte ich mir Notizen zu Eindrücken und Besonderheiten. Ich notierte auch freie Assoziationen, wie bei den zwei Beispielen links, welche sich während den Gesprächen eingestellt hatten.

In einem zweiten Schritt ging ich die Gesprächsaufzeichnung durch und transkribierte die Stellen, mit denen ich weiterarbeiten wollte. Zusätzlich notierte ich Timecodes mit visuellen Aspekten, wie Gesten, Mimik, oder akustische Ausdrücke, mit welchen ich auf der visuellen und auditiven Ebene arbeiten wollte.

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KÜNSTLERISCH

THEORETISCHE

SUCHBEWEGUNG

RESEARCH

MOVEMENT

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KÜNSTLERISCHE FORSCHUNG

Erzählen hat immer mit Geschichte(n) zu tun und nach Walter Benjamin „zerfällt Geschichte in Bilder, nicht in Geschichten” [20]. In diesem Sinne brach ich die im Dialog gehörten Geschichten in mehreren Schritten auf und wandelte Fragmente daraus in Bilder um.

 

Bilder allerdings, die immer noch aus Wort und Schrift bestehen, also als Textfragmente mit Bildcharakter zu verstehen sind. Sie ermöglichen einerseits ein individuelles Erfahren der erzählten Geschichten und können andererseits durch die bruchstückhafte Anordnung als neue Geschichte gelesen werden. Zudem wird die Vielschichtigkeit von chronischen Schmerzen, sowie die in den Textfragmenten auffindbaren Verschränkungen mit Gesellschaft, Wirtschaft, Politik und anderen beeinflussenden Faktoren auf einer Subebene erfasst, ohne dass explizit darauf verwiesen wird. Weiter ermöglichen die Textbilder Schmerzpatient*innen das Spiegeln ihrer eigenen Erfahrung und eröffnen so hoffentlich einen Reflektionsraum auf einer persönlichen Ebene. Dieser Raum entstand erstmals in emergenter Form in den Gesprächen mit den Patient*innen, da sie sich mit mir offen und ohne therapeutische Absicht über ihre eigenen Schmerzerfahrung unterhielten. Im Rahmen dieser künstlerischen Untersuchung kontaktierten die Patient*innen mich, weil sie mich in meiner Arbeit unterstützen wollten, was eine Umkehrung des Verhältnisses ist, in welchem sie normalerweise über ihre Schmerzen sprechen.


Die künstlerische und thematische Relevanz der bisher gesammelten und verarbeiteten Textfragmente besteht in ihrer Dekontextualisierung aus dem Gesamtgespräch. Sie können für sich alleine stehen und die Tür zu einem vielschichtigen Verstehen und Interpretieren der Bedeutung von chronischen Schmerzen öffnen. Indem ich die Fragmente heraustrenne, ermögliche ich neue Verbindungen: „Kompositionen sind – wörtlich – Zusammen-Stellungen, Montagen oder Fugen ohne explizite Regeln, […]” [21].

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Zusammen mit dem Aufnahme system des transdisziplinären Gesprächs, wie ich es innerhalb der performativen Intervention am Zentrum für Schmerzmedizin auch mit mehreren Gesprächspartner*innen durchgeführt habe, möchte ich dieses Experimentalsystem [22] auf seine Tauglichkeit zum künstlerischen Erforschen von Themen aus Gesellschaft, Wissenschaft und Kultur untersuchen. Ich möchte neue Wege der Wissens- und Materialgenerierung ausloten, welche meine zukünftige künstlerische Praxis erweitern und vertiefen. Mit der hier vorliegenden Untersuchung explorierte ich diese Möglichkeiten und Techniken ein erstes Mal.

 

Ich wähle dabei eine Vorgehensweise, welche von Materialien her sowie in und aus ihnen denkt – nach Adorno ein „methodisch-unmethodisches Vorgehen, welches weder einer Linearisierung folgt, noch ein Kontinuum bildet, sondern sich einer Kom-Position von Momenten verdankt.” [23]


Im Bezug zu dem vom Literaturwissenschaftler Roland Borgards skizzierten Forschungsfeld Memoria, Körper und Kultur [24] lassen sich die in dieser Untersuchung bearbeiteten künstlerischen Ansätze zum einen im Bezug zu Memoria als Erinnerungs- und Speichervorgang zu chronischen Schmerzen auslegen. Sie können aber dadurch, dass Erinnern auch für das Imaginieren von Zukünftigem zuständig ist, als Basis für Veränderung und Neuauslegung von (Denk-, Verhaltens-)Mustern funktionieren.


Wie Borgards in Schmerz und Erinnerung feststellt: „Kein Schmerz ist bloss aktuell; jeder Schmerz spannt eine zeitliche Dimension auf; in jedes schmerzhafte Jetzt ragt eine erinnerte Vergangenheit herein.” [25] Demnach kann einerseits Erinnerung aus Schmerz hervorgehen, andererseits ist im Falle von chronischen Schmerzen an einer akuten Schmerzwahrnehmung bereits die Erinnerung beteiligt.


Der Medizinhistoriker Volker Roelcke beschreibt in seinem Beitrag in Schmerz und Erinnerung: „Erinnerung [an den Schmerz] erfolgt in zweifacher Weise: Gerichtet auf die eigene Lebensgeschichte, und auf das in der Kultur verfügbare Repertoire von Deutungsmöglichkeiten.” [26]

 

Fügt man den Komponenten Erinnerung und Kultur noch das individuelle Schmerzempfinden als eine persönliche und im akuten Moment hauptsächlich körperliche Wahrnehmung hinzu, erschliesst sich Borgards konzeptionelles Dreieck Memoria, Körper und Kultur in Bezug auf chronische Schmerzen.


Die Suchbewegung und der Erkenntnisgewinn, die durch das emergente Erforschen [27] chronischer Schmerzen aus einer künstlerischen Perspektive entstanden sind, werfen eine Reihe von abschliessenden oder weiterführenden Fragen auf:

 
Die Bezeichnung Chronischer Schmerz verweist auf den Aspekt der Zeit, auf die Dauer, aber auch auf die Art der Wiederkehr der Schmerzerfahrung. Verändert sich für die Betroffenen die Wahrnehmung von Zeit grundsätzlich? Wie wird Zeit von Menschen erlebt, die von Schmerz begleitet oder ständig durch ihn bedroht sind?

 

Wie können Schmerzerinnerungen artikuliert werden, um sie für die Zukunft umzuschreiben und somit als Vehikel für Veränderung nutzbar zu machen?

 

Wie kann aus Zermürbung, Erschöpfung und Empörung über die Krankheit Akzeptanz und Kreativität im Umgang mit ihr werden? Sind es bestimmte, benennbare Ereignisse, die einen solchen Umschlag in der Wahrnehmung von Betroffenen in Gang setzen, oder wird die Veränderung als anhaltender Prozess beschrieben?


Kann das in dieser Untersuchung verwendete transdisziplinäre Gesprächskonzept dazu beitragen, dass Therapeut*innen und Ärzt*innen sich kontinuierlich um Informationen der anderen im Team bemühen, sprich, von einer Spezialisierung ohne Austausch, in eine gemeinsame Kommunikation aller an der Schmerztherapie Beteiligten treten?

 

Welches Repertoire an Deutungsmöglichkeiten für chronische Schmerzen steht in unserer Kultur zur Verfügung? Kann Kunst hier sinnvoll intervenierend und intermittierend eingreifen und neue Deutungsmöglichkeiten schaffen?

 

Wie können künstlerische Verfahrensweisen zu einem besseren Verständnis der Komplexität und Vielschichtigkeit von chronischen Schmerzen beitragen? Welcher Erkenntnisgewinn entsteht gerade durch die deutungsoffenen Suchbewegungen der Künste?

ERINNERN, ERZÄHLEN, WIEDERHOLEN, VERÄNDERN

Wie der brasilianische Klangkünstler und Kulturwissenschaftler Pedro Oliveira in seiner Hörperformance A Series of Gaps, Rather Than a ­Presence [8] feststellt, liegt Erzählungen ein Rhythmus zugrunde. Rhythmus besteht nach Oliveira aus Wiederholung und Wiederholungen sind 
nicht gleichmässig. 
Was kann aus den Zwischenräumen, aus den ausgelassenen, ver­gessenen oder abgeänderten Stellen herausgehört werden?

 

Wie bewusst sind wir uns wirklich darüber, wie unsere Geschichte beschaffen ist, in dem Moment, in dem wir sie erzählen? „Geschichten werden nicht exakt wiederholt, neigen aber dazu, durch Wiederholung Muster zu bilden” stellt Oliveira des Weiteren fest. Muster, welche sich bei erneutem Erleben eines bestimmten Ablaufs ins Langzeitgedächtnis einschreiben.

Geschichten sind fragmentarisch aufgebaut, bilden sich aus Erinnertem, Erlebtem, integrieren aber auch Zustände und Gefühle zum Zeitpunkt des erneuten Erzählens. Fehlende Übereinstimmungen in wiederholten Erzählungen können auch als Ansatz für positive Veränderung gesehen werden. Verschiebungen des Schmerzerlebens könnte somit die kleinste Einheit im Umgang mit chronischen Schmerzen sein. Erzählen von chronischen Schmerzen wäre damit ein Hilfsmittel für Veränderung des Umgangs mit den Schmerzen.

 

Sieht man das Erzählen als subjektives, unbewusstes Denken [9], welches sich im Moment des Mitteilens verändert und damit Raum für eine Neubetrachtung und Imagination eines zukünftigen Erlebens schafft, könnte aus dem gleitenden Übergang zwischen Fakten und Fiktion [10] der Stoff für eine positive Veränderung entstehen.


Nach Auffassung der amerikanischen Essayistin Elaine Scarry [11] widersetzen sich Schmerzen des sprachlichen Ausdrucks, zerstören die Sprache sogar aktiv. Das mag im Moment des Sich-in-Schmerzen-Befindens so sein und stützt die Aussage von Alphonse Daudet, dass Worte sich erst dann wieder einfinden können, wenn die Schmerzen vorüber sind.

 

In dieser Untersuchung hat sich aber das Erzählen von und das Sprechen über Schmerzen als sehr inspirierende und aufschlussreiche Methode zum Übersetzen und Verstehen von chronischen Schmerzen herausgestellt. Einige meiner Dialogpartner*innen merkten an, dass es ihnen gut getan habe, ihr ganzes Erleben rund um ihre Erfahrung mit chronischen Schmerzen ausserhalb eines medizinischen oder therapeutischen Kontexts zu erzählen und damit auch für sich selbst neu zu reflektieren. Durch das Gespräch und die künstlerische Auseinandersetzung mit dem Material haben sie neue Erkenntnisse gewonnen. Aus dieser Perspektive ist das Erzählen von Geschichten grundsätzlich sinnstiftend und birgt in sich ein Potenzial für Veränderung.

'Pain is

      whatever the experiencing person

                                         says it is,

   existing whenever and wherever

                 the person

                          says it does.' [1]

'Sich zwischen Schmerzmoment und Erinnerung formend,

                                          will es den Riss zwischen körperlicher Evidenz

                                                                 und manifester Willkür,

                                                     zwischen unausweichlichem Sinneseindruck und

                                                                                 sich im Ausdruck formender Empfindung füllen;

                                            es oszilliert zwischen Zustand und Vorgang,

                                                               vermittelt zwischen Augenblick und Wiederholung.' [12]

                                                                    'Erzählungen liegt

                                     ein Rhythmus zu Grunde.
                                              Rhythmus besteht aus Wiederholung
und Wiederholungen sind nicht gleichmässig.'[7]

 

'Forschung in den Künsten […] zehrt von der Freilegung versiegter Quellen

und               

anderer Sichtweisen,  

die in den                 

Zwischenräumen            

widerspenstiger

Phänomene             

nisten.'[19]   

 

ZEIT UND GEDÄCHTNIS


Im Begriff Chronischer Schmerz vereinen zwei sich gegenläufige Zustände. Zum einen der zeitlich unbestimmt andauernde Zustand der Chronifizierung der Krankheit und zum anderen der absolut im konkreten Moment verankerte Zustand des Sich-in-Schmerzen-Befindens [13].

 

Werden die Begriffe chronisch [14] – zeitlich andauernd – und akut [15] – im ­Moment geschehend – einander gegenüber gestellt, um die Komponente der Zeitlichkeit von chronischen Schmerzen zu beleuchten, lässt sich erahnen, warum chronische Schmerzen so furchtbar für die Betroffenen sind. Denn schlussendlich handelt es sich um eine andauernde oder immer wieder neu auftretende, akute Bedrohung des menschliches Daseins mit unbestimmter Zeitdimension.


Damit stellt sich auch die Frage nach dem Mechanismus der Speicherung solcher Empfindungen und deren wiederholter Abrufung durch das sogenannte Schmerzgedächtnis [16]. Die dort gespeicherte Erfahrung Schmerz wird durch unterschiedliche Ereignisse und von einer möglichen ursprünglichen Ursache entkoppelt ausgelöst und wird so zum eigenständigen Phänomen. Es handelt sich dabei aber nicht um das exakte Abrufen einer gespeicherten Schmerzerfahrung, sondern vielmehr um einen nicht bewusst steuerbaren Prozess des Erinnerns.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Nach der Kulturwissenschaftlerin Aleida Assmann entwickelt sich Bewusstsein generell im Zeichen des Vergangenen. Die Erinnerung besitzt demnach einen retrospektiven Charakter [17] und setzt erst dann ein, wenn die Erfahrung, auf die sie sich bezieht, abgeschlossen ist.

 

Was sich auf den ersten Blick als unbeeinflussbarer Kreislauf anhört, birgt auf den zweiten Blick auch Chancen: „Das Erinnern verfährt grundsätzlich rekonstruktiv; es geht stets von der Gegenwart aus, und damit kommt es unweigerlich zu einer Verschiebung, Verformung, Entstellung, Umwertung und Erneuerung des Erinnerten zum Zeitpunkt seiner Rückrufung” [18], so Assmann. Auf das Schmerzgedächtnis bezogen bedeutete dies also, dass die entkoppelt gespeicherte Schmerzerinnerung bei jeder Abrufung einem Transformationsprozess unterliegt und somit grundsätzlich wandelbar ist. Je nachdem, wie lange das wiederholte Schmerzempfinden schon anhält und welche Schichten darin bereits eingewoben sind, ist das „Überschreiben” aber ein möglicherweise lebenslang andauernder Prozess.

 

Teile dieses Prozesses finden sich auch in den gesammelten Gesprächsfragmenten im Kapitel Schmerz-Dialoge: wie beispielsweise aus Zermürbung und Erschöpfung durch die Krankheit über die Zeit Akzeptanz und Kreativität im Umgang mit sich und der Krankheit entstehen. Aber auch, dass die Gefühle der akuten Lebensbedrohung und des Ausgeliefertseins durch chronische Schmerzen bei jüngeren Gesprächspartner*innen ausgeprägter waren, im Vergleich zu jenen, die bereits auf eine über mehrere Jahrzehnte andauernde Schmerzgeschichte zurückschauen. Insgesamt hat sich durch die zwölf Gespräche ein breites Spektrum an sehr unterschiedlichen Umgangsformen mit chronischen Schmerzen aufgetan, welches von: „Wenn ich das jetzt jahrzehntelang so gemacht habe, dann kann ich das auch weiterhin so machen” bis hin zu „Im jungen Erwachsenenalter hat man Schmerzen aufgrund von Verletzungen, nicht als eigenständige Krankheit” spannt.

SCHMERZ

 

„Schmerz ist eine komplexe Sinnesempfindung und als solche von naturwissenschaftlichen Gegebenheiten der Anatomie und Physiologie bestimmt. Dennoch hat jeder Schmerz eine subjektive Erlebnisperspektive.” [2]

 

Die Weise, wie sich Schmerz anfühlt, ist spezifisch und von Person zu Person verschieden. Die Schmerzempfindung lokalisiert sich nach Georg Schönbächler an der Scharnierstelle von Körper und Geist und provoziert damit unter anderem auch die Diskussion um die sich hartnäckig haltende Dichotomie von Leib und Seele. Meine thematische Voruntersuchung spannte sich entsprechend von den anatomischen und physiologischen Voraussetzungen der Schmerzempfindung über unterschiedliche medizinische Methoden zur Schmerzbekämpfung bis hin zur philosophischen und gestalterischen Auseinandersetzung mit Schmerz in der Literatur und Kunst.

Zu Sprechen von und Erzählen über Schmerz habe ich Literatur wie beispielsweise Sprache des Schmerzes – Sprechen über Schmerzen [3] von Fabian Overlach gefunden, aber auch Alphonse Daudets In the Land of Pain. Zu kultureller und politischer Deutung von chronischen Schmerzen fand ich Auskunft in Schmerz als Krankheit [4], der Dissertation von Christa Hüper.

Zu künstlerischer Forschung und Schmerz setzte ich mich mit der künstlerischen Forschungsarbeit Between Agony and Ecstasy: Investigations into the Meaning of Pain [5] der Künstlerin und Autorin Barbara Macek auseinander.

Obwohl die Begriffe Schmerz und chronische Schmerzen ständig fliessend ineinander übergehen, verortete ich für meine eigene künstlerische Untersuchung Schmerz als das Hauptsymptom von chronischen Schmerzen, da Leiden an chronischen Schmerzen das wiederkehrende oder andauernde Empfinden von Schmerz über längere Zeit bedeutet. Der Fokus dieser Untersuchung liegt dabei auf den Dialogen mit den Menschen, die mit mir über ihre Erfahrung im Umgang mit ihren Schmerzen gesprochen haben.

Ich näherte mich über den Dialog der Komplexität von chronischen Schmerzen an und versuchte so auszuleuchten, was diese einschneidende Krankheit im Leben der Menschen für Reichweiten haben kann. Durch Zuhören und Nachfragen bekam ich langsam einen Einblick in die umfassende Vernetzung und Komplexität der Krankheit im Leben der Betroffenen. Ferner blickte ich auf die unzähligen Querverbindungen, welche das Innere mit dem Äusseren verschränken und auf die räumliche und zeitlichen Dimension chronischer Schmerzen.

 

Als wichtiger Aspekt hat sich eine ganzheitliche Sichtweise auf den betroffenen Menschen gezeigt. Wie Georg Schönbächler beschreibt, ist der Schmerz immer der Schmerz einer ganzen Person. Der Schmerz wird zwar im Körper lokalisiert, aber das Subjekt dieses Schmerzes ist nicht das lokalisierte Körperteil, sondern ich als ganze Person habe Schmerzen” [6]. Dies bedeutet also, dass alles, was ich als Schmerz empfindender Mensch tangiere, auch von diesem beeinflusst werden kann, und alles, was mich als betroffenen Menschen tangiert, wiederum Einfluss auf den Schmerz haben kann. In der Schmerzmedizin ist dies einer der wichtigsten Ansätze für eine erfolgreiche Behandlungsstrategie von chronischen Schmerzen.

 

Die Ebenen auf denen die unterschiedlichen Ereignisse und Faktoren der Chronifizierung von Schmerzen liegen, spiegeln wiederum viele problematische Strukturen in Gesellschaft, Kultur und Wirtschaft, aber auch in Umwelt und Politik wider. Strukturen, die, solange sie vorhanden sind und solange wir in ihnen trotz ihrer negativen Auswirkungen leben und sie damit weiter stärken, immer wieder viele Menschen in Situationen bringen werden, in welchen sich ein Zuviel oder Zuwenig an… in chronischen Schmerzen manifestieren kann. Diesbezüglich kann die Kernfrage dieser Untersuchung auch so gestellt werden:

 

Liegen Menschen mit chronischen Schmerzen im Leben anderer Menschen, in unserer Gesellschaftstruktur und dem politischen System überhaupt drin?

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Prozessschritte an der interaktiven Bildarbeit 'Das Schmerzgedächtnis', zwischen Suchen und Finden, Komposition und Makrostruktur.

Aus der anfänglichen Arbeit mit Wiederholung und Anordnung von Fotobildserien entstand in einem weiteren Schritt eine Verschränkung und Durchwirkung der einzelnen Bilder. Plötzlich entstand eine „Innenansicht” aus einer Serie von „Aufsichten”. Ebene für Ebene können Betrachter*innen von aussen nach innen tauchen. In der interaktiven Version dieser Arbeit findet zudem bei jedem Doppelklick eine Neuanordnung der Komposition statt und macht so die Themen Interation und Veränderung erfahrbar.

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