Trans-Piano



Einleitung

Ein Klavier ist nicht nur ein Musikinstrument, sondern viel mehr. Es erzählt eine Geschichte, hat einen eigenen Charakter, sein Alter, seine Farbe, seinen Klang, seine Präsenz, seinen Raum.

Als Konzertpianistin steht die Musik im Vordergrund. Durch den Wechsel meiner professionellen Umgebung bedingt durch den Umzug in die Schweiz aus Kuba und neuen Einflüssen, habe ich mich mit anderen künstlerischen Mitteln an mein zentrales Motiv angenähert. Diese Annäherung erfolgte durch das spontane Bedürfnis, das Innere eines Klaviers zu fotografieren, es durch das Objektiv einer Fotokamera mit meinen Augen als Konzertpianistin zu betrachten.

Davon ausgehend, entwickelte sich mein künstlerisches Interesse, andere Schichten des Klaviers zu zeigen. Ich will mich nicht nur musikalisch, sondern auch bildnerisch mit meinem Gegenstand auseinandersetzen und in einer erweiterten Form darstellen.
Alle Untersuchungen und künstlerischen Resultate sind in dieser Webseite gesammelt dargestellt.

Drei prägende Momente
(I) Im Rahmen eines Workshops bei Peter Ablinger an der ZHdK (Januar 2012) wurde mir ein neuer Weg des Komponierens aufgezeigt, der mir ermöglicht hat, meine aktuellen künstlerischen Untersuchungen in den verschiedenen Disziplinen (Musik, Fotographie, Performance) in eigenen Kompositionen zusammenzuführen.
Als Komponist befindet er sich in einem Zwischenraum zwischen Musik und Bildender Kunst. In seinen Werken arbeitet er mit Installationen, die unsere Wahrnehmung thematisieren und herausfordern. Seine konstruktive Kritik zu meinen Arbeiten haben mich motiviert, meinen künstlerischen Prozess weiterzugehen.
Ein wichtiger Hinweis für meine Weiterentwicklung war der Vorschlag, eine Notationsform für meine Performances zu finden. Diese analytische und gleichzeitig gestalterische Arbeit hat mir einen eigenen Weg mit meinen Stücken ermöglicht.

(II) Meine Recherche hat mich zu Komponisten konzeptueller Werke geführt, insbesondere zu John Cage und seiner Form der Notation, wie z.B. Klaviernoten, Radiofrequenzen, und Einweisungen für Aktionen. Für mich besonders interessant war zu sehen, dass die Partitur Teil der Performance ist und für das Publikum gut sichtbar montiert werden muss. Eine weitere Inspiration war die spezielle Art von Notation der „Event Scores“ in der Fluxus Bewegung für die Aufführung von Performances in Form von Anweisungen.

(III) Die Auseinandersetzung mit dem Thema Modell im Rahmen eines Seminars von Florian Dombois an der ZHdK hat mich bei der Umsetzung meiner künstlerischen Ideen beeinflusst. Als Übung mussten wir ein konkretes Modell präsentieren, welches unser eigenes Thema veranschaulichen sollte. Ich suchte ein Modell, das sich bewegt und gleichzeitig hörbar ist und entschied mich für ein gekochtes Ei. Durch Zufall beobachtete ich die natürlichen Bewegungen, wie Roll- und Kreisbewegungen, von schnell zu langsam, von grossen zu kleinen Bogen und hörte gleichzeitig die dabei entstehenden Geräusche: Ein ideales Modell für meine Klavierbewegungen. Ich benutzte es zur Choreographie der Performance „Klavierrollen“, d.h. ich habe mit dem Ei geübt und die Bewegungen auf das Klavier übertragen. Diese Vorbereitung mit einem Modell hat mir die Umsetzungsphase verkürzt und mehr Klarheit im neuen künstlerischen Umgang mit dem Klavier gebracht. Dabei war es wichtig, ein Gefühl für die Natur und Dynamik der Bewegungen eines gekochten Ei’s zu entwickeln, ähnlich wie später auch für das Klavier. Nach vielen Wiederholungen haben meine Hände die genauen Impulspunkte für die Auslösung geeigneter Bewegungen gelernt.

Untersuchungen
Durch das Medium der Fotografie erweitere ich meine Funktion als Interpretin. Ich habe meinen Gegenstand aus verschiedenen Blickwinkeln, Distanzen, und Sichtweisen untersucht. Die Bilder wirken zum Teil plastisch, man erkennt die Materialität, die Dimensionen, andererseits lassen sie viele Interpretationsmöglichkeiten zu.
Methodisch benutze ich gezielt die Verfremdung. Eine Verfremdung besteht im Kern darin, dem Betrachter vertraute Dinge in einem neuen Licht erscheinen zu lassen und ihn dadurch zu aktivieren. Durch Verfremdung kann man etwas deutlich machen, auf eine Realität fokussieren oder ihr eine symbolische Bedeutung geben. Diese verschiedenen Sichtweisen zeigen sich exemplarisch in ausgewählten Fotos der beiden Bildserien „Objektiv“ und „Subjektiv“.

Ausgangspunkt für meine Klang-Untersuchungen ist die Faszination für das Klavier als natürlicher Resonator. Durch das Öffnen des rechten Pedals werden die Klaviersaiten nicht mehr gedämpft und schwingen bei jeder Bewegung oder bei Schallwellen (z.B. Geräusche, Sprechen, Klopfen etc.) mit.
Durch das Anbringen eines Mikrofons im Innern des Klaviers bei geöffnetem rechten Pedal habe ich verschiedene Vorgänge aufgenommen: Klaviertransport, Klavierrollen, Manipulationen mit einem Fotoapparat. D.h. erst durch die Bewegung wird der Klang erzeugt, Nebengeräusche von aussen werden ebenfalls verstärkt.

Künstlerische Ergebnisse
Die Auseinandersetzung mit Bild, Klang und Bewegung hat mich von der klassischen Interpretationsform meiner Ausbildung am Konservatorium entfernt und in eine neue Richtung, insbesondere die Performance geführt.

Durch die neue Sicht und einen anderen Umgang mit dem Klavier sind neue Fragen entstanden, die mich bei meinen Arbeiten begleitet haben:
Wie choreographiere ich die Bewegung von einem Klavier im Raum?
Wie kann ich die fotographische Untersuchung eines Klaviers hör- und sichtbar machen?
Wie stelle ich eine Performance und die entsprechende Partitur gleichzeitig dar?
Wie klingt die Schwerkraft/Trägheit im Klavier?
Wie verteile ich den Klang im Raum?
Wo positioniere ich das Mikrophon/die Lautsprecher am besten?
Wie komponiere ich mit diesen akustischen Elementen?

Mein Ziel war, neue Handlungsformen zu entwickeln, um mich künstlerisch auszudrücken und meine Untersuchungen darstellbar zu machen. Daraus sind Videos, Installationen und Performances entstanden. Durch diese habe ich ein Gefühl für Raum, Zeit und Aktion entwickelt. Wichtige Entwicklungselemente und Hilfsmittel waren die Arbeit mit einem Modell für natürliche Bewegungsmuster und die Entwicklung einer Notationsform für meine Performances, die ich auch in Videos mitverarbeitet habe.

Dabei haben ich mich mit 3 Themen besonders auseinandergesetzt:

(I) Partitur
Die Partitur funktioniert wie ein Exerzitium für mich. Der Prozess, eine Performance-Partitur zu schreiben, hat mir geholfen, mein musikalisches Zentrum zu finden und neu zu entdecken, Grenzen zu überschreiten oder zu brechen und dabei Unbewusstes zu reflektieren. Wenn das passiert, habe ich einen neuen Gestaltungsraum gefunden, den ich wiederum reorganisieren und auch wieder aufbrechen kann.

    
Vertrautes wird (hier durch die Partitur) neu gedacht, aus seiner Ruhe geholt, wird anders und lebendig. Tod und Wiedergeburt oder Ruhe und Bewegung sind die Kräfte, die einander brauchen im Schaffensprozess des Lebens und der Kunst. Die Performance, die entsteht, ermöglicht mir eine erweiterte Ausdrucksform.

Aktionen erscheinen in neuem Blickwinkel in einer Performance, die dadurch gleichzeitig ein Eigenleben bekommt. Damit wird die Performance zu einem eigenständigen Werk, das als neues "Kunststück" seinen Weg nehmen kann.
 
(II) Materialität


Spiel und Spannungsfeld der Sinne bilden eine Materialität, die ich erlebbar machen möchte: das Hören soll sichtbar und das Sehen hörbar werden. Mein künstlerisches Interesse dreht sich immer mehr darum, zwischen Disziplinen und Sinnen Zwischenräume zu gestalten und neue Verbindungen herzustellen.

Als Erweiterung meiner Interpretationsform bin ich tief in die Materialität eines Klaviers getaucht, um klangliche und visuelle Qualitäten von Holz und Metall darzustellen.

Eine Methode bestand beim Klavier z. B. darin, das rechte Pedal unten fest zu arretieren und anschließend die Holzteile zu schlagen und warme Töne zu erzeugen. Andererseits entstanden beim Schlag auf Metall metallisch kalte und leuchtende Klänge. Meine Prämisse ist es, durch das Erlebnis des Hörens des Klavierinnenraums die besondere Materialität des Klaviers präsenter zu machen.

An diesem Faden von Klang und Bild in der Materialität eines Instruments möchte ich weiter experimentieren.
 
(III) Raum


Beispielsweise hat bei meiner "Notenständer-Performance" die Beschaffenheit des Raums eine große Rolle gespielt. Wie bewege ich mich im Raum? Wo ist das Publikum? Frontal? Rundherum? Bewegt es sich im Raum? Setzt es sich in den Raum? Welche Erweiterung kann die Musik im Raum erfahren?

Die Notenständer zeigen eine Melodie im Raum. Die Anforderungen des zu bespielenden Raums fordern von mir als Interpretin die Anpassung des „Kunststücks“ an die räumlichen Gegebenheiten. Beispielsweise habe ich im Kleinen Saal der Hochschule die "Notenständer-Performance" ausprobiert, danach musste ich sie im Dittinghaus, den dortigen Gegebenheiten anpassen und spiegelverkehrt neu aufbauen.
Mit jedem Raum entsteht eine neue Sicht auf die Performance-Elemente. Dadurch bekommt auch die Performance ein neues Gesicht, eine weitere Ansicht. Die Veränderungsprozesse, die die Performance in weiteren Aufführungen erleben kann, können den Künstler immer wieder neu herausfordern.

Reflexion
Die künstlerische Sensibilität ist sehr präsent in all meinen Untersuchungen mit dem Klavier.
Ich bin oft von zufälligen Entdeckungen ausgegangen, die ich nachher bewusst vertieft habe. So eröffnete sich für mich durch die Entdeckung der erzeugten Klänge beim Bewegen eines Klaviers mit geöffnetem rechten Pedal eine neue künstlerische Dimension.

Die optimale Balance zwischen der Resistenz des Instruments, dem Hören der Klänge im Raum (als Feedback) und das entsprechende konstante Anpassen der Anschlagsstärke der Tasten durch die Feinmotorik der Finger bestimmen die Qualität des musikalischen Klangs im Raum. Diese gleiche Qualität suche ich auch in meinen Performances. Die feinmotorische Bewegungsqualität der Finger versuche ich auf den ganzen Körper zu übertragen. Das Ohr als Feedbackorgan spielt eine zentrale Rolle für die Anpassung der Bewegungen im Raum und die Dauer und Dynamik einer bestimmten Aktion. D.h. ich nutze meine künstlerische Sensibilität und Musikalität für meine Bewegungen im Raum.
Um eine Präsenz und Richtung der inneren Geräusche des Klaviers zu geben, verstärke ich diese mit Mikrofon und Lautsprechern, d.h. ich überlege mir ein Sounddesign im Raum. Wichtige Überlegungen betreffen die Platzierung des Publikums, die Anzahl und Platzierung der Lautsprecher und die akustischen Eigenschaften des Raums.


In der täglichen Interaktion im Rahmen meines Transdisziplinär-Studiums hat die Auseinandersetzung mit anderen Disziplinen und Denkmodellen neue Erfahrungen ermöglicht, und zu neuen Arbeitsweisen und Untersuchungsformen, wie z.b. die Arbeit mit Modellen geführt. Die kritische Distanz zu meinem Instrument hat blinde Flecken meiner Heimatdisziplin als Interpretin beleuchtet, wie z.B. die Materialität und akustische Möglichkeiten eines Klaviers, neue Formen der Komposition und Interpretation, mögliche Erweiterungen der räumlichen Umsetzung von Klang. 

 

Die verschiedenen Kunstgattungen wie Musik, Fotografie, Installation, Tanz/Performaces haben mich zu unterschiedlichen Fragestellungen des gleichen Gegenstandes geführt. Durch die Überschreitung der Disziplinengrenze habe ich eine Erweiterung und Optimierung der eigenen Methode erreicht. Meine Arbeit bewegt sich in einem Zwischenraum verschiedener Disziplinen. In der Arbeit Fotoakustische Manipulationen integrieren sich Musik und Fotographie zu einer sich gegenseitig bedingenden Arbeit ohne Hierarchie. In der Performance Klavierrollen fügen sich Klang und Bewegung im Raum zu einem integralen Stück zusammen. Bei der filmischen Weiterverarbeitung zur Performance Klavierrollen mit Partitur habe ich die Partitur als skulpturalen Teil der Performance visuell integriert. Der Film visualisiert die Idee, dass eine Live Performance die Partitur live erzeugt und diese als Installation im Raum stehen bleibt. Das Dynamische einer Bewegung und das Statische einer Skulptur sollen im gleichen Raum dargestellt werden. 

 

Der künstlerische Prozess, wie ich ihn erlebe, funktioniert wie eine Spirale. Jedes Werk bringt mich auf eine neue Ebene in Interaktion mit anderen Themenfeldern. Jedes Stück nimmt seinen Weg und ich ermögliche seine Entwicklung, ohne auf die Disziplinengrenzen zu achten.

Sunlay Almeida Rodriguez

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Abstract
Im Zentrum meiner künstlerischen Arbeit steht die Erweiterung der Sicht auf das Klavier, dessen Materialität und innere Welt.
In einem transdisziplinären Prozess im Rahmen des Studiums "Transdisziplinarität in den Künsten" an der Zürcher Hochschule der Künste (ZHdK) habe ich 5 Klaviere auf die Eigen-schaften Bild, Klang und Bewegung untersucht. Dies hat mich zu verschiedenen Darstellungs- und Aufführungsformen wie Performance, Installation und Konzert geführt.

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