Künstlerisches Forschungsprojekt

über

Macht und Machtgefälle

als professionseigene Dimension innerhalb der Sozialen Arbeit, zur Generierung einer

Methodik

der künstlerischen Forschung für die

Soziale Arbeit.

Einleitung – Ausgangssituation: Fragestellung, Problem und Relevanz

Kann die künstlerische Forschung ein Schlüssel zum Verständnis der Adressat_innen der Sozialen Arbeit sein? Durch die Erforschung vorhandener impliziter Wissensbestände auf Seiten der Adressat_innen, könnte es möglich werden, viel genauer und konkreter mit ihnen zu erforschen, welche Bedarfe gedeckt werden sollen und welche Hilfeformen wirkliche Anknüpfungspunkte an die Lebenswelt der Klient_innen darstellen. Können, über bereits etablierte kunst- und theaterpädagogische Projekte, ebenso künstlerisch forschende Dimensionen eröffnet werden, und auch hier Zugewinne für die ästhetisch- wissenschaftliche Forschung ausgehen?
Künstlerische Forschung ist in der Lage, über ästhetische Prozesse und selbstreflexive Verfahren, subjektive Erfahrungen zu reflektieren, und darüber implizites Wissen zu generieren. Über künstlerische Methoden welche über die Materialität eines Objektes (Installation im Raum) oder das Körperwissen (Tanz, Performance), Einsichten ermöglichen, kommt der/die Forscher_in an Daten, welche über eine reine narrative Form (z.B. Interview) nicht zugänglich wären. Der/die Forscher_in in der künstlerischen Forschung kann Subjekt und Objekt zugleich sein, und ebenso andere Subjekte als partizipative (Mit-)Forscher_innen in den Prozess der Datenerhebung und Auswertung integrieren. Die künstlerische Praxis, also das ‚Tätigsein in der Kunst‘, oder das Handeln im künstlerischen Prozess dient dabei immer als ‚Plattform‘ auf der oder, an welcher Wissen, ‚abgeschöpft‘ werden kann. Dieses Wissen kann so aufbereitet werden, dass es intersubjektiv kommunizierbar und verständlich wird. Somit wird es möglich, das erhobene Wissen, über Verfahren qualitativer Forschungsprozesse, zu analysieren und in eine diskursive Form zu überführen. Über eine künstlerisch- wissenschaftliche Forschungsform können vor allem Aspekte der ‚Macht‘ sichtbar werden. Die künstlerische Forschung, stellt Wissen, Wahrheit und die Zugänge hierzu, in Frage. Kommt es dann zu einer Anwendung im Kontext der Sozialen Arbeit können ebenso Fragen der Macht und des Machtgefälles innerhalb der Profession befragt und erlebbar gemacht werden. Gerade in partizipativen Forschungsprozesses bedarf es einer permanenten kritischen Reflexion des Prozesses aller Beteiligten. Wer entscheidet was? Wer ist Initiator_in und wer (Mit-) Forscher_in? Und damit, welche Kompetenzen kommen wem im Prozess zu, und wie werden diese bewertet. Demnach müssen ethische Aspekte in solchen Settings vorrangig thematisiert werden (Ramette:2021). Die Soziale Arbeit verwertet wissenschaftliches Wissen und erzeugt dieses, somit verlangt sie eine eigene Wissenschaftlichkeit für sich. Daraus resultiert, dass sich die Soziale Arbeit als Profession die Frage nach eigenen wissenschaftlichen Zugangsweisen stellen muss. Die Alleinige Verarbeitung von Wissen aus Bezugswissenschaften reicht nicht aus, um das erkenntnismethodische Vorgehen zu bestreiten. Wenn die Soziale Arbeit als eigenständige Wissenschaft verstanden werden möchte, muss sie um eine selbstständige ‚Erkenntnisposition‘ ringen und diese verteidigen. Zwei Bezüge stehen im Kontext eines wissenschaftlichen Diskurses in der sozialen Arbeit gegenwärtig nebeneinander: auf der einen Seite fungiert die Soziale Arbeit immer in einem systemischen Bezug über die Einbindung in Systeme (Schule, Familie, Staat und Werte), und auf der anderen Seite dient das individuelle Konzept und die Theorie der ‚Lebensweltorientierung‘ als ein ‚Erkenntnisrahmen zur Erfassung‘ von subjektiven Bewältigungsmustern. Zwischen diesen zwei Polen (Individuum und Gesellschaft) versucht sich die Soziale Arbeit aufzuspannen und eine ‚Erkenntnishaltung‘ zu finden. Das Aufsuchen des Einzelnen in seinem Alltag mit Handlungskonzepten wie z.B. ‚Hilfe zur Selbsthilfe‘ und Bewältigungsstrategien wie z.B. ‚Empowerment‘ und der Gestaltung entsprechender Unterstützungsangebote im Kontext manifestierter gesellschaftlicher Mechanismen wie u.a. ‚Inklusionsarbeit‘ oder ‚Gemeinwesenarbeit‘ können als Konstruktionen möglicher Erkenntniszugänge bezeichnet werden (Vgl. Schumacher: 2007 S. 27-31). Der Diskurs um eine eigenständige Wissenschaft(-lichkeit) in der Sozialen Arbeit rückt den Fokus auf das ‚Objekt‘ in Form eines Gegenstandes der als ‚berufliches Handeln‘ bezeichnet werden kann. Dieser dient als Ausgangspunkt der Wissenschaftlichkeit in der Sozialen Arbeit. Setzt sich also die Wissenschaft der Sozialen Arbeit aus Bestandteilen der (Handlungs-)Praxis zusammen, erscheint die Dimension einer ‚Ethik der Sozialen Arbeit‘, als fundamentaler Bezugspunkt, einer eigenständigen Wissenschaft. Die Ethik ist stets Bestandteil im ‚Praxiswissen‘ der Sozialen Arbeit, und formt somit das wissenschaftliche Wissen und seine Erhebungspraktiken (Forschung) mit. Dimensionen der Ethik (u.a. Mandatsverständnis, Menschenbild) dienen als ‚Identifikationsmerkmal‘ einer Praxiswissenschaft welche sich gerade dadurch als ‚Sozialarbeitswissenschaft’ definiert. Die Soziale Arbeit als ‚Praxiswissenschaft‘ wird vom Vermögen der Wissenschaft bestimmt, ohne allerdings von dieser ‚Herrschaft‘ vereinnahmt zu werden. Sie generiert Wissen aus ihrem ‚Tun‘ heraus, welches über strukturierende Maßnahmen wie Forschung, Evaluationen in Theorien transformiert wird. Die Praxis, als Gegenstand Sozialer Arbeit findet über wissenschaftliche ‚Reflexionen‘ Einzug in die sozialarbeiterische Forschung (Vgl. Schumacher: 2007 S. 141-143). Die vorliegende Exposition bietet einen Einblick in den reflexiv- künstlerischen Forschungsprozess, und stellt die Ergebnisse, in Form einer Methode der künstlerischen Forschung in der Sozialen Arbeit vor.

Materialliste

Materialien in Phase 1 (Objektherstellungsprozess)

Nach der Entscheidung mit Objekten als Träger von Wissen und Information während der Performance zu agieren, kam es zu einer Vorproduktion dieser. Verwendete Materialien: Hasendraht (Fuß- Beinprothesen), Papierseiten aus alten Telefonbüchern (Ummantelung der Fuß- Beinprothesen), Kleister (Fixierung des Papiers auf den Fuß- Beinprothesen), Pinsel (Zum Bestreichen des Papiers mit dem Kleister). Insgesamt wurden 3 Prothesen in unterschiedlichen Produktionsstadien vorproduziert (Siehe Bildmaterial) Arbeitsmaterialien: Drahtzange und Schutzhandschuhe.

Materialien in Phase 2 (Liveperformance)

Innerhalb der Liveperformance kommt es zu Aktionen mit den drei vorgefertigten Fuß- Beinprothesen. Die noch nicht ummantelte Prothese wird weiter beklebt. Materialien: Ein Becher mit Kleister und Pinsel. Zur Ummantelung werden hier Seiten aus Sozialgesetzbüchern (Vier Stück) rausgerissen und anschließend verklebt.

Materialien in Phase 3 (Videodreh)

Das 3,41 Minuten lange Video zeigt die Produktion einer Fuß- Beinprothese. Materialien: eine Rolle Hasendraht, eine Drahtschere, Handschuhe an den Händen zum Schutz, ein altes Telefonbuch aus dem, Seiten rausgerissen werden zur Ummantelung der Fuß- Beinprothese (Kleisterbecher und Pinsel).

Weitere Materialien und Requisiten: Videokamera und Stativ zum Dreh des Videos, Kostüm während der Liveperformance (Pantoffeln) und Video (kurze Hose, ein weißes Hemd), Gaffa Tape (schwarz) zum Abkleben der Bodenmarkierungen/2 Räume.

Video

Beschreibung der Methodik und Durchführung der Erhebung

Ausgehend von dem Thema und der Fragestellung des ‚Machtgefälles‘ in der Sozialen Arbeit der exemplarischen künstlerischen Forschungsarbeit, verwendet die Künstlerin einen wissenschaftliche Text u.a. mit Zitaten aus der Machtanalyse von Foucault. Dieser dient ihr als inhaltlich- wissenschaftliche ‚Richtschnur‘ und Arbeitsgrundlage im Kontext räumlich- körperlicher Vorgänge, er wird behandelt wie ein Bestandteil einer Materialsammlung aus einer ‚Stückentwicklung‘ im klassischen Sprechtheater, und über textanalytische Methoden ausgewertet und aufbereitet. Die Künstlerin hat sich entschieden die Performance auf zwei unterschiedliche Ebenen zu setzen, auch auf Grund inhaltlicher Strukturen wie sie in sozialarbeiterischen Interventionen zu finden sind: zu der live stattfindenden Performance im reellen Raum, durchgeführt von der Künstlerin selbst, wird parallel ein Video, an der den Raum eingrenzenden Wand, projiziert.

Innerhalb des reellen Raumes gibt es 2 weitere fiktive Raume, abgeklebt mit Gaffatape am Boden. Raum 1 ist der ‚Privatraum‘ des/der Sozialarbeiter_in bzw. des Subjektes der Performance, Raum 2 stellt den ‚Arbeitsraum‘ des/der Sozialarbeiter_in dar, in welchem, sozialarbeiterische Prozesse ablaufen. Der Entwicklungsprozess der Performance, ist gleichzusetzen mit dem Forschungsprozess der künstlerischen Forschung und wird im Folgenden reflexiv beschrieben und unter dem Punkt ‘Ergebnis’ systematisch dargestellt. Die Auswahl der einzelnen Materialien und entstehenden/entstandenen Objekte im Prozess erfolgt über eine erste freie Assoziation zu Leitbegriffen aus dem Kontext des ‚Machtgefälles‘ der Sozialen Arbeit. Der Arbeitsprozess an der Performance inclusive des Videos betrug vier Wochen und gliederte sich in vier methodisch unterschiedliche Phasen:

1. Denken/Reflektieren in der Kunst

Das Denken während des künstlerischen Forschungsprozesses ist geprägt und wird geleitet durchexploratorisches und intuitionsgeleitetes Vorgehen. Nicht- proportionale Formen des Denkens, Embodied Knowledge und Tactic Knowledge, werden als implizites Wissen in Handlungen repräsentiert. Es eröffnet seine Präsenz, innerhalb des Vollzugs der künstlerischen Handlung. Über Selbstbeobachtung und Selbstbefragung generiert es eine ‚kunstinduzierte‘ Erfahrbarkeit, und steht im permanenten Bezug und Dialog mit den sozialen, lokalen, und technischen Momenten und Instrumenten. Das Denken und Reflektieren ist somit Teil eines ‚explorativen Experimentierens‘ (Vgl. Dubach, Badura: 2015 S. 123- 125).

2. Installieren und Improvisieren/Proben

Durch die Methode des Installierens können Gegenstände zueinander in Beziehung gesetzt werden, sie schließt explizit den/die Betrachter_in über die sinnliche Wahrnehmung in den installierten Kontext mit ein. Die Installation bezieht den Faktor ‚Welt‘ in den sie konkret umgebenden Raum mit ein. Durch die Kontextualisierung eines ‚Werkes‘, die Beziehung zwischen Objekt und Subjekt, sowie den sozialen Raum werden konkrete Erfahrungen des/der Betrachter_in unmittelbar mobilisiert. Mittel wie Videos, Klanginstallationen etc. können als Bestandteile einer Installation dienen. Dadurch tritt der repräsentative Charakter eines Werkes in den Hintergrund, und eröffnet Möglichkeiten zur Befragung des Gegenstandes. Kunst im Sinne eines Erkenntnismediums und Reflexion z.B. aktueller Entwicklungen, findet in der Installation eine dynamische Form, welche den/die Betrachter_in geradezu zwingt sich mit ihr auseinanderzusetzen. Diese Erkenntnisse sind engt mit dem Wissensbegriff in der künstlerischen Forschung verknüpft. Die Installation kann in diesem Verhältnis als ein ‚Experimentalsystem‘ und als konkretes Forschungsdesign dienen. Sie ermöglicht die Verknüpfung, Reflexion und Analyse zwischen (institutionellen) Raum, lokalen (ortsspezifischen), kulturellen, sozialen, materiellen und historischen Referenzen und kann ideal auf Forschungsfragen innerhalb der Sozialen Arbeit Anwendung finden. Sie setzt Wissen und Wahrnehmung in Beziehung zueinander. Dabei bleibt das erhobene Wissen vorerst ein singuläres, welches allerdings in Bezug auf objektive Faktoren intersubjektiv interpretierbar wird (Vgl. Bippus: 2015 S. 151- 154). Eine Forschungsarbeit über eine Installation wird durch die Stränge ihrer Interpretierbarkeit nie die Form eines abgeschlossenen Prozesses erreichen, durch immer neue Verschränkungsmöglichkeiten und Optionen kann sie, in diesem ‚unkontrollierbaren Bezugssystem‘ fast unendliche Bezüge herstellen. Gerade dadurch kann sie als ein Mittel eingesetzt werden, um die multidimensionalen Faktoren innerhalb der Sozialen Arbeit abzubilden und zu befragen (Ramette: 2021). Das Improvisieren kann als Umgang mit unvorhergesehenen Situationen verstanden werden, diese werden in der Kunst als ‚Koinzidenz‘ von Prozess und Produkt verstanden und absichtlich hergestellt. Improvisationen sind ‚wirkliche Handlungen im Moment‘ und reagieren als Antwort auf aktuelle Situationen emergenter Ereignisse. Die Improvisation ist gleichzeitig ‚Erzeugende‘ und ‚Zeuge‘, dies bedeutet, dass Die Tätigkeit und Reflexion parallel stattfinden und in ihrer Wirkung die Improvisation fortlaufend beeinflussen. Über die Technik der Improvisation können Konstruktionen von inneren Bildern des Selbst, nach Außen transportiert und erforscht werden. Vor allem über die Authentizität der Improvisateure und reelle soziale Interaktionen wird es möglich, die reflexiv. Responsive und rezipro Kreativität des Prozesses nutzbar zu machen (Vgl. Bertinetto: 2015 S. 147- 149). Der Prozess des Probens kann als ‚Durchspielen von Möglichkeiten‘ bezeichnet werden, und impliziert einen Moment des Vorläufigen. Die Probe, als Experiment, ist nicht beliebig und Ergebnisoffen, sondern konstituiert sich aus ihrem Kontext und Aufbau und generiert dadurch das Wissen, welches sie hervorbringt. Die Inhalte der Proben bewegen sich demnach zwischen Bekanntem und Unbekanntem im Rahmen des schon erhobenen Wissens. Durch die Anbindung an den Körper, unterliegt das Wissen der Probe stets einer dynamischen Performativität innerhalb eines ‚Experimentalsystems‘ (Vgl. Matzke: 2015 S. 189- 191).

3. Inszenieren

Innerhalb der Praxis einer Inszenierung kommen die Prozesse der Konzeption, Einübung und Ausgestaltung szenischer Ereignisse und Vorgänge zum Tragen. Der experimentelle Aspekt wird währen der Vorstellung, des Vorführens der Inszenierung im Kontext der Wirkung auf das Publikum zu einem partiell unkalkulierbaren Faktor. Die Festlegung grundlegender Rahmenbedingungen, wie Dauer, Raum, Teilnehmerkreis, lässt das Ereignis dennoch als ergebnisoffenes Produkt (Experiment) erscheinen. Über den Kontakt mit dem Publikum können unvorhersehbare Effekte provoziert werden. So kann eine Inszenierung auch als künstlerisches Forschen verstanden werden, bei der die Reaktionen und Wahrnehmungen von Teilnehmer_innen auf das Ereignis, thematisiert und befragt werden können (Vgl. Primavesi: 2015 S. 155- 157).

Forschungsdesign- Beschreibung der Performance

Die Performance zeigt einen Frauenkörper bekleidet mit einem weißen Hemd/Bluse, darunter schauen die nackten Beine ohne Schuhe hervor. Im Raum auf dem Boden, mit Packpapier abgeklebt, befinden sich zwei Quadrate, welche zwei unterschiedliche Räume symbolisieren. Auf der einen Fläche befinden sich Filzpantoffeln, auf der anderen liegt ein Stapel von vier Sozialgesetzbüchern. Die Performerin startet liegend/schlafend im Raum mit den Pantoffeln, zieht diese an die Füße und läuft dann zielgerichtet in den anderen Raum, in dem sie jedes einzelne Buch hochhebt und wieder auf den Boden fallen lässt. Begleitet ist diese Aktion von einem gleichbleibenden Rhythmus, des Geräusches der Bücher, welche auf den Boden knallen. Auf den, aus dem Vorgang entstandenen Bücherhaufen, stellt sie sich drauf und versucht das Gleichgewicht zu halten. Diesen Vorgang wiederholt sie dreimal. Danach kniet sie sich vor den Bücherhaufen und reißt auch wieder in einem klaren Rhythmus einzelne Seiten aus den Büchern heraus. Im oberen Teil des Raumes liegen drei Fuß- Beinprothesen“. Es sind Drahtkorpusse, welche die Form eines Fußes und eines Unterschenkels haben. Sie befinden sich in unterschiedlichen Fertigungsstadien. Die Performerin greift zu dem Korpus, welcher sich im unvollendeten Bearbeitungsmodus befindet, und beginnt die ausgerissenen Seiten/Papierschnipsel mit einem Pinsel und Kleister (neben den Prothesen stehend) einzustreichen. Dann klebt sie das eingekleisterte Papier auf den Drahtkorpus. Diesen Vorgang wiederholt sie einige Male mehr. Die letzten beiden Papierschnipsel, klebt sie auf ihre Pantoffeln. Dann ordnet sie die Bücher wieder als einen Stapel auf der linken Seite im Raum, und ordnet die restlichen Materialien (Kleisterbecher und Pinsel) ebenso auf Ursprungssituation im Raum an. Im Anschluss läuft sie wieder zielgerichtet in den „Anfangsraum“ stellt ihre Pantoffeln ab, versucht die angeklebten Papierschnipsel zu entfernen und legt sich wieder in Embryonalstellung auf den Boden hin. Während des gesamten Vorgangs läuft im Hintergrund auf der Wand ein Video, welches ebenso die Performerin in gleichem Kostüm zeigt, und den Vorgang der Herstellung der Drahtprothesen dokumentiert. Als Vorlage dazu dient ein nacktes Bein der Performerin. Sie umwickelt es mit einem abgeschnittenen Teil einer Rolle von „Hasendraht“ und formt diesen an ihrem Bein entlang. Dann löst sie die Form vorsichtig vom lebendigen Körper und vollzieht im Anschluss die gleichen „Klebeschritte“ wie in der Liveperformance, nur benutzt sie im Video als Buch ein Telefonbuch. Das Video wechselt auf der Tonspur zwischen Geräuschen welche bei dem realen Herstellungsprozess mitaufgenommen wurden (Papierreißen, Draht mit Zange schneiden usw.) und einem ‚voice over‘ einer weiblichen Stimme welche Textpassagen aus der ‚Machtanalyse‘ Foucault´s rezipiert.

Erkenntnisweg und Ergebnisse - Entwicklung der künstlerischen Forschungsmethode für die Soziale Arbeit

Zu der sukzessiven und prozessgeleiteten Gestaltung des Forschungsdesigns (= Performance und Video), verlief parallel, der Erkenntnisweg und die Generierung von Wissen. Über die permanente Reflexion und Analyse der eigenen Handlung, gelang es der Künstlerin, relevante künstlerische Entscheidungen zu treffen und so systemgeleitet die Erzählung in Form einer Performance zu einem ersten Abschluss zu bringen.

Die ‚Publikumsdiskussion‘ nach der Show der Performance mit Zuschauenden Student_innen, zeigte Reaktionen, welche nur über das Medium ‚Kunst‘ zu verzeichnen sind. Viele Student_innen hatte körperliche Erlebnisse während des Zusehens gehabt, sie meldeten zurück, dass sie das abstrakte Thema ‚Macht‘ zuvor nicht hätten ‚greifen‘ können, nun aber einen subjektiven Zugang zur Dimension gefunden haben. Außerdem gab es Stimmen, welche äußerten, dass sie sich über die Ebene der Visualisierung an wissenschaftliche Inhalte erinnert fühlten, und diese gerne erneut, auf Grund des Gesehenen in das Bewusstsein holen würden. Diese Beispiele zeigen, dass über das Beobachten ästhetischer Erscheinungen kognitive Ebenen ebenso aktiviert werden, wie emotionale. Die Student_innen waren dadurch in der Lage an ein Thema anzuknüpfen und konnten sich selbst als Partizipant_innen erleben. Es hatte etwas mit ihnen ‚zu tun‘. Hier lassen sich demnach auch äußerst wertvolle Aspekte von Empowerment, Selbstwirksamkeit etc. festmachen, welche im Bereich des Lernens und der Bildung, Ausgangspunkte gelingender Bildungsprozesse darstellen. Künstlerische Forschung stellt eine höchst spezifische Art der Forschung dar, und könnte auch als ‚ein anderes Tun um neues Wissen zu generieren‘ bezeichnet werden. In diesem Kontext kommt dem ‚künstlerischen Denken‘ innerhalb des Forschungsprozesses und den ‚Tätigen‘ (Forscher_innen) eine wichtige Rolle und Bedeutung zu. Das künstlerische Denken und Handeln, entsteht aus Erfahrungen innerhalb von Situationen, und Räumen welche durch Offenheit, Leichtigkeit, Neugierde und Lust geprägt sind. Der/die Forscher_in benötigen Kompetenzen und Erfahrungen aus diesen Bereichen bzw. eine ständige Offenheit sich überraschen zu lassen, um sich unvoreingenommen auf die Bewegungen im Forschungsprozess einzulassen. Den wirksamsten Synergieeffekt, welcher durch eine Begegnung oder Verschränkung zwischen künstlerischer Forschung und Sozialer Arbeit entsteht, sieht die Künstlerin in der damit beantworteten Frage nach einer emanzipatorischen Forschungsmethode für die Soziale Arbeit. Die Prozesse (Reflexivität, Partizipation, Kommunikation et.) welche künstlerische Forschung befähigen Wissen zu generieren, bedienen ganz konkret das Modell einer ‚kritischen Sozialarbeitswissenschaft‘ und stellen wissenschaftlichen Theorien, eine Forschung als ‚soziales Produkt‘ gegenüber. Somit nimmt die Form der Forschung auf den Inhalt der Forschung einen nicht unerheblichen Einfluss. Aus dem Produktionsprozess konnte die Künstlerin, eine Methode ableiten, welche sich als Konzept für künstlerische Forschungsdesigns in der Sozialen Arbeit als partizipative Forschung, behaupten könnte. Die Tabelle fasst die gefundenen Ergebnisse zusammen, und stellt die Methode in ihren einzelnen Schritten vor.

Thema/ Begrifflichkeit in der Sozialen Arbeit

(Bildlich- räumliche) Assozia-

tionen

Entscheidung für Äquivalent (Darstellung/Begrifflichkeit) in der künstlerischen Forschung. Bedeutung innerhalb der Performance/ künstlerischen Forschungsdesign Ergebnis für Methode Mögliche partizipative Zugänge/Fragen
Machtgefälle

Verschoben, Ungleich

(-Gewicht). Professionelle Ebene nach unten, Aktion geht vom Profi aus

Bewegung/Vorgang im Raum: Ausbalancieren (Auf Bücherstapel), Klient_in ist nicht präsent. Sozialarbeiter_innenkörper ist Anwesend, er handelt, agiert und entscheidet Frage des Fokus innerhalb des Themas/Fragestellung und angemessener Darstellungsform (Sprache, Körper, Bewegung etc.)

Experiment: was passiert bei mehreren Sozialarbeiter_innen? Was passiert wenn Klient_innen dazukommen? Aushandlung der Machtpositionen/

Hierarchien?

Sozialarbeiter_in Subjekt/Objekt, Machtinstanz, Arbeiter, Systemerhalt, Handlung Subjekt/Körper in der Performance und Video, Handlungen vollziehend, (Bau der Fuß- Beinprothesen u.a.). Körper als Wissensträger, Verantwortlich für den gesamten Verlauf Frage nach Protagonist_in, Anzahl der Performer_innen Frage nach der Verantwortung der Handlungen/Interventionen?
Klient_in

Subjekt/Objekt

Individuum, Empfänger, unbekannte Person, Bedarfe

Körperlich nicht anwesend, es wird über ihn gesprochen (Voice over), Die Fuß- Beinprothese wird für ihn gestaltet, nicht mit ihm Frage der Perspektive auf das Thema. Wer erzählt die Geschichte?

Der/die Klient_in erscheint?

Perspektivwechsel?

Gesellschaft Gruppe, Masse, Norm, Hierarchie, Druck, Zusammenhalt, Gleichwertigkeit Telefonbuch als Sammlung gesellschaftlicher Individuen (und Normen) Frage des Erzählrahmens: vergrößerter Blick vs. verkleinerter Blickradius Frage der Öffnung nach außen?
Kommunikation Sprache, Symbol, Ausdruck, Wörter, Texte, Heraus-forderung Keine Sprache während der Performance, Kommunikation über Handlungen, Vollzüge und Zeichen (Bewegung durch den Raum, Rhythmus, Geräusche). Einspielung eines vorgefassten Monologes über ‚voice over‘- kein Dialog Kontrastmoment, Irritation? Einbau einer weiteren Erzählebene. Eröffnung einer Metaebene (Video mit Erzähler_in) Öffnung der ‚4. Wand‘? Partizipation des Publikums als Mitforscher_innen?
Nähe und Distanz Klient_in, Sozialarbeiter_in, Raum, Platz, Körper (-Grenzen) Nähe: Zeigen von Verletzlichkeit durch nackte Haut (Bein). Embryonalstellung im privaten Raum. Nähe und Kontakt zum eigenen Inneren. Im Gegensatz zum Verhalten im beruflichen Raum. Distanz: Vorgang des Abziehens der im Arbeitsraum angeklebten Papierreste: Abgrenzungsvorgang Moment der Möglichkeit persönliches/privates/Verletzlichkeit darzustellen = Eröffnung tiefer Einblicke in das Thema für das Publikum (Identifizierungsmoment, ‚Katharsis‘) Prozess möglicher innerer Infragestellungen bei den Zuschauenden. Moment zur Eröffnung partizipativer Handlungen? Was braucht das Subjekt?
Räumlichkeit/Raum/Sozialraum Ort (Arbeit/Privat), Verbundenheit, Auslieferung, Distanz und Nähe, Vertrautheit Drei Räume im reellen Performanceraum (Privat und beruflich sind getrennt durch Markierungen am Boden). Die Wandprojektion als ‚äußerer‘ Raum mit Stimme ‚von Oben‘. Als Metaoperationsebene (u.a. Input Fakten) Frage/Entscheidung räumlicher Begebenheiten und Aufteilungen dieser. Weiterer Medieneinsatz (Video, Beamer, auditive Elemente?) Partizipationsmöglichkeiten der Zuschauer im Kontext Raum? Wie/Wo steht/sitzt/läuft das Publikum
Handlung Tun, Vorgaben, Spielräume, Prozesse, Vorgang, Ausführung, Durchführung, Dokumentation, Handlungsunfähigkeit Bewegung, Körper im Raum. Erzählung und Inhalt voranbringen: Bau der Prothesen als konkrete künstlerische Tätigkeit innerhalb der Performance (als ‚Figur‘). Objektbau als Vorbereitung zur Performance. Die Handlung der Sozialarbeiter_in wird zur Handlung der Performer_in und umgekehrt: Die Prothesenanpassung erfolgt am eigenen Bein, sie passt nicht zu den möglichen Klienten = infragestellung Sozialarbeiterischer Interventionen im Kontext individueller Strategien. Wie soll der konkrete Forschungsvorgang ablaufen, über welches ‚Tun‘ soll das Wissen generiert werden? Welche Handlung dient der Erzählung? Handlungen am Publikum vollziehen? Das Publikum/ Mitforscher_innen vollziehen Handlungen an der Performer_in/ untereinander?
Vorgehen/Vorgang Weg, Prozess, Verlauf, Veränderung, Stagnation Methodenentwicklung als paralleler Vorgang zu dem künstlerischen Forschungsprozesses. Das Vorgehen wird in der Reflexion analysiert und Dokumentiert. Methodisches Vorgehen: Literaturrecherche, Textanalyse, ‚Denken in der Kunst‘ (u.a. Assoziieren), Produktion der Objekte, Instalieren/Improvisieren (Proben), Inszenieren. Und: Thema ‚Machtgefälle‘ erforschung anhand impliziter ‚embodied knowledge‘ (siehe Tabelle: 2 ‚Reflexion/Analyse Embodied knowledge‘ Relevanz der Methoden in Hinblick auf die Fragestellung. Äußere Rahmenbedingungen, unterschiedliche Ebenen des Forschungsprojektes: (hier): Thema aus der Sozialen Arbeit + Entwicklung einer künstlerischen Forschungsmethode für die Soziale Arbeit.

Integration partizipativer Elemente? Wozu dienen sie? An welcher Stelle des Vorgangs- Kontext Bedeutung Forschungsfrage.

Analyse Auswertung: pädagogischer Ebenen u.a.

Prozess Veränderung, Entwicklung In der Performance wird der Prozess der Prothesenherstellung (Video) und die Verwendung der Prothesen im Kontext sozialarbeiterischer Interventionen, gezeigt. Die Prozessartigkeit der Entwicklung (Forschungsdesign) muss nachvollziehbar gemacht werden können (u.a. Methodenentwicklung). Der Prozess erfolgt nicht linear. Darstellungsfrage: Was soll visualisiert werden? Prozess vs. Zustand, oder offener erweiterbarer/unab-geschlossener Prozess. Möglichkeit eines ‚Loops‘? Über Partizipation werden Prozesse komplexer und um soziale Faktoren multidimensional.
Intervention Einmischen, Einschreiten, Unterbrechen, Bevormunden, Unterstützen Die Intervention einer Beratung z.B. erfolgt hier über die Erschaffung der Prothese. Die Adressierung erfolgt über die Handlung des Aufklebens/Bekleisterns der Seiten des Telefonbuches. Die sozialarbeiterische Intervention ist hier gleichzusetzen mit der künstlerischen Handlung an sich. Möglichkeit eines intervenierenden Publikums: z. B. vorgefertigte ‚Aufgabenkarten‘.
Grundlagen Basis, Rahmen, Theorie, Wissen (-schaft) Grundlage sozialarbeiterischen Handelns stellen gesetzliche Rahmenbedingungen dar: die Sozialgesetzbücher (Akustik, Stabilität, Ummantelungsmaterial = notwendige Kontur der Prothesen). Akustisch erscheinen Inhalte aus der ‚Machtanalyse‘ Hier: Kritische Haltung zum Thema ‚gesetzte äußere Rahmenbedingungen sozialarbeiterischer Interventionen‘. Frage einer kritischen Positionierung gegenüber dem Forschungsthema/Frage. Das Publikum als ‚Mitforschende‘ Kritiker, während, nach dem Forschungsprozess?
Grenzen Zu, dicht, offen, individuell, keine Handlung Die Raumgrenzen der ‚Spielflächen‘ wurden mit Klebebank markiert/abgeklebt: Trennung von Privatraum und Arbeitsraum (klassisches Nähe- Distanz Thema in der Sozialen Arbeit) Möglichkeit einzelne Thematiken voneinander abzugrenzen und individuell zu ‚bespielen/analysieren‘. Frage der Grenze von Publikum und Performance? Grenzen zwischen professionellen Forscher_innen und partizipativen ‚Mit- forscher_innen?
Handlungsspielraum Bewegung, Erfahrung, Entscheidung, Entwicklung, Raum Der Handlungsspielraum innerhalb der Erzählung bleibt eng: die Anpassung der Prothesen an das eigene Bein, wird zum Standard. Die Prothese unterliegt keiner individuellen Anpassung an die Bedingtheit des/der Adressat_in. Somit verengt sich der Handlungsspielraum/Bewegungsraum auf Seiten der Klient_innen: Ein sozialarbeiterisches Dilemma. Thema: Wirkung der Handlung auf die Umgebung (Subjekte, Objekte). Frage der Partizipationsmöglichkeiten eines Publikums als Mitforscher_innen

(Ramette: 2021)

Literaturverzeichnis

Bertinetto, Alessandro (2015): Improvisieren. In: Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann, Dieter Mersch, Anton Rey, Christoph Schenker, German Toro Perez (Hrsg.). Künstlerische Forschung. Ein Handbuch. 2. Auflage. Zürich-Berlin, Diaphanes. S. 147- 149.

Bippus, Elke (2015): Installieren. In: Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann, Dieter Mersch, Anton Rey, Christoph Schenker, German Toro Perez (Hrsg.). Künstlerische Forschung. Ein Handbuch. 2. Auflage. Zürich-Berlin, Diaphanes. S. 151- 154.

Dubach, Selma; Badura, Jens (2015): Denken/ Reflektieren (Im Medium der Kunst). In: Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann, Dieter Mersch, Anton Rey, Christoph Schenker, German Toro Perez (Hrsg.). Künstlerische Forschung. Ein Handbuch. 2. Auflage. Zürich- Berlin, Diaphanes. S.123- 125.

Matzke, Annemarie (2015): Proben. In: Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann, Dieter Mersch, Anton Rey, Christoph Schenker, German Toro Perez (Hrsg.). Künstlerische Forschung. Ein Handbuch. 2. Auflage. Zürich- Berlin, Diaphanes. S. 189- 191.

Primavesi, Patrick (2015): Inszenieren. In: Jens Badura, Selma Dubach, Anke Haarmann, Dieter Mersch, Anton Rey, Christoph Schenker, German Toro Perez (Hrsg.). Künstlerische Forschung. Ein Handbuch. 2. Auflage. Zürich- Berlin, Diaphanes. S. 155- 157.

Schuhmacher, Thomas (2027): Soziale Arbeit als ethische Wissenschaft. Topologie einer Profession. Dimensionen Sozialer Arbeit und Pflege, Band 11. Stuttgart, Lucius&Lucius Verlagsgesellschaft. S. 27- 31, S. 141- 143.