Meisterschülerarbeit von Katharina Hauke an der Universität der Künste, Berlin bei Professor Dr. phil. Alberto de Campo, Juli 2019
Hier aufgeführt ist eine strukturierte Auswahl an entstandenem Material, darunter zahlreiche Hör- und Textbeispiele sowie Beschreibungen einiger der unterschiedlichen Versuche.

Versuche: meine ich im doppelten Sinne, einerseits als probieren, eine englische Übersetzung wäre to attempt, und andererseits als die theoretische Form begründet durch Michel de Montaigne, als Essai. Letztere sind kurze Abhandlungen über diverses, Wikipedia nennt es "unterschiedliche Objekte von ebenso unterschiedlichem Rang" *, also politisch-religiöse, persönliche bis hin zu erotischen – wobei de Montaigne in jeder seiner Betrachtungen die eigene Wahrnehmung der Welt reflektiert. De Montaigne zufolge ist das auch genau das, was wir tun können, über uns selbst sprechen, da wir als Lebewesen, Mensch und als Individuum Voraussetzungen und dementsprechend auch Beschränkungen haben, die Welt inklusive einander und uns selbst zu erkennen. 

Wir suchen andere Lebensformen, weil wir die unsre nicht zu nutzen verstehen; wir wollen über uns hinaus, weil wir nicht erkennen, was in uns ist. Doch wir mögen auf noch so hohen Stelzen steigen – auch auf ihnen müssen wir mit unsren Beinen gehen[…]. 
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De Montaigne Essais haben schriftliche Form. Manche meiner Essais haben das zumindest teilweise auch, sie folgen dann zum Beispiel einer sprach-logischen Arbeitsweise, reizen die Grenzen dieser Logik aus oder suchen ihre Durchlässigkeit aufzuzeigen. Für wieder andere gehe ich gänzlich allegorisch vor, im Benjamin'schen Sinne. Für wieder andere fand ich keine sprachliche Form, da sie sich, egal ob gesprochen oder geschrieben (was einen Unterschied macht) in ihr nicht denken ließen. Diese Essais sind dann auditiv oder performativ, nicht unbedingt im Sinne einer Aufführung, eher einer Aktion oder Arbeitsweise.
Jedes dieser Formate bewegt sich in seinem eigenen Denksystem und hat dementsprechend seine eigenen Möglichkeiten der Erkenntnis, die wiederum ihre eigenen Erkenntnisse hervor bringen. Jene sind dann in anderen Formen kaum oder nicht denkbar, Übersetzung bleibt lückenhaft oder hat wieder ihre eigene Aussage. Da sich also meines Erachtens nicht alle Erkenntnisse in einer sprachliche Form ausdrücken lassen, nutze ich diverse Denk- und Kommunikationsformen um mich in einem dennoch (noch immer) schrift-sprach-logisch geprägten Diskurs, der also, allem Inhalt zum Trotz, einem wissenschaftlichen Arbeiten untersteht, zu verorten: in einem vernunftkritischen Diskurs. 

Mein ursprünglicher Titel führte auch das Adjektiv visuell an, es wurde jedoch ersatzlos gestrichen und ist nur noch in der Projektionsfläche zu erkennen, ein Konglomerat kritisch zu verstehender Assoziationen, darunter: sich sich auf ein anderes projizieren, (unter)scheiden und dadurch machen, Erkennen als Abstraktionsleistung, Erkennen der Welt als Abbildung derselben. In dieser Arbeit und über sie hinaus folge ich lieber der Idee von Kognition wie sie Varela/Thompson/Rosch entwerfen:

These two extremes [realism/idealism] both take representation as their central notion: in the first case representation is used to recover what is outer; in the second case it is used to project what is inner. Our intention is to bypass entirely this logical geography of inner versus outer by studying cognition not as recovery or projection but as embodied action.  […] the world we cognize is not pregiven but enacted through our history of structural coupling.
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Indem wir einander den Mythos der Sirenen erzählten, erklärten wir einander die Welt. Indem Homer ihn notierte, schrieb er eine Ordnung fest, aus vielen kleinen Erzählungen wurde eine große Erzählung und als solche ging sie in die formenden Hände der jeweiligen Machthaber über, die beispielsweise die Lockung der Sirenen, die bei Homer noch in Welt-Wissen bestand, zu einer sexuellen Lockung machten, was der Verbreitung ihres Bildes der Frau sowie zu ihrer Unterdrückung zuträglicher war. Mit dem Kapitalismus werden die Ströme decodiert, die Werte dieser Geschichten durch ökonomische ersetzt – das Bild der Sirenen ist so leer wie das Che Guevaras auf einem Tshirt bei H&M. Deleuze und Guattari betonen in ihrem Anti-Ödipus die Wichtigkeit von Fluchtlinien, die revolutionär oder ästhetisch sein können, dabei aber immer persönliche Bewegungen darstellen: 

Herauszufinden gilt es, welches die Wunschmaschinen eines jeden sind, wie sie laufen, mit welchen Synthesen, welchen Durchdrehungen, welchen grundlegenden Fehlzündungen, mit welchen Strömen, welchen Ketten, welchen Ausprägungen des Werdens in jedem Fall. […] Nicht die Drucklinien des Unbewußten zählen, vielmehr seine Fluchtlinien. Nicht das Unbewußte übt Druck auf das Bewußtsein aus, sondern das Bewußtsein drückt und knebelt, um jenes an der Flucht zu hindern.

*

Insofern auf diesen Seiten Essais erwähnt werden, sind diese numeriert und benannt; die Numerierung hat nur den Sinn, ihr zeitliches Auftauchen im Projekt zu bedeuten und dient mir als Orientierung. Sie ist unvollständig aus mehreren Gründen, hier seien drei genannt:
1. nicht alle Versuche haben es in diese Liste geschafft 2. einige Texte und Stücke, die als Essai gelten können sowie die Form der Präsentation sind dort ebenso nicht verfügbar 3. Experimente wuchsen sich zu Versuchen aus, Versuche schrumpften zu Fußnoten zusammen und die hierarchischen oder thematischen Ebenen lassen sich nicht (mehr) immer (klar) trennen 4. dieses ist ein laufendes Projekt

– auditive, performative und sprachliche Versuche von Fluchtlinien gen jenseits der Projektionsfläche – 

Ich danke meinen Kollaboratuerinnen für ihr Vertrauen,
ihre Zeit, Gedanken und Arbeit: 
Lilia DornhofTill BovermannNguyễn BalyFlorence FreitagJohannes PlankThordis M. Meyer, Fanny Sorgo


Ich danke den Menschen die mich außerdem in diesem Projekt besonders unterstützt und inspiriert haben: 
Ivan MarkovićStephanie Schafferhans, Awa Schafferhans, 
Tara TransitoryVeerle Duflou

Copyright aller Audio-Stücke liegt bei den jeweiligen Kollaborateurinnen und mir zu gleichen Teilen.

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Bücher / Essays habe ich gelesen in und zitiere ich nach folgenden Ausgaben:

Max Horkheimer, Theodor W. Adorno (1944)
Die Dialektik der Aufklärung
Fischer Taschenbuch Verlag GmbH, 1975

Simone de Beauvoir (1949)
Das andere Geschlecht – Sitte und Sexus der Frau
Rohwolt Taschenbuch Verlag GmbH, 1984


Francisco J. Varela, Evan Thompson, Eleanor Rosh (1991)
The Embodied Mind – Cognitive Science and Human Experience
Massachusetts Institute of Technology, 1993


Humberto R. Maturana, Francisco J. Varela (1984)
Der Baum der Erkenntnis – Sie biologischen Wurzeln des menschlichen Erkennens
Scherz Verlag, Bern und München, 1987

Gilles Deleuze, Felix Guattari (1972)
Anti-Odipus Kapitalismus und Schizophrenie I 
Suhrkamp Verlag Frankfurt am Main 1974 


Vilém Flusser (1991)
Gesten – Versuch einer Phänomenologie
Fischer Taschenbuch Verlag, 1997

François Julien (1991)
Über das Fade – eine Eloge
Merve Verlag, Berlin, 1999

Erika Fischer-Lichte (2004)
Ästhetik des Performativen
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 2004

Jean-François Lyotard (1982)
Das postmoderne Wissen
Passagen Verlag, Wien, 1993

Wolfgang Welsch (1996)
Vernunft – Die zeitgenössische Vernunftkritik und das Konzept der transversalen Vernunft
Suhrkamp Verlag, Frankfurt am Main, 1996

Homer (ca. 7. oder 8. Jahrhundert vor Christus)
Odyssee
DigBib.Org: Die freie digitale Bibliothek
Quelle: www.digbib.org/Homer_8JHvChr/De_Odyssee
Erstellt am 27.07.2006


Friedrich Kittler
Musen, Nymphen Und Sirenen
supposé; Auflage: 1., (1. Oktober 2005) 

Matija Gogala (2012)
Songs of four Cicada Species from Thailand
Erschienen in: Bioacoustics – The International Journal of Animal Sound and its Recording, 2012 

A Model of the Mechanism of Sound Production in Cicadas (1992)
H. C. Bennet-Clark
Erschienen in: Journal of Experimental Biology 173, 1992

Tuning the drum: the mechanical basis for frequency discrimination in a Mediterranean cicada (2006)
Jérôme Sueur, James F. C. Windmill and Daniel Robert
Erschienen in: The Journal of Experimental Biology 209, 2006

Emanuele Coccia (2017)
The Life of Plants – A Metaphysics of Mixture
This English edition © Polity Press, 2019

Maurice Blanchot (1962)
Der Gesang der Sirenen – Essays zur modernen Literatur
Verlag Ullstein GmbH, 
1982

Franz Kafka (1917)
Das Schweigen der Sirenen, in: Die großen Erzählungen
suhrkamp taschenbuch, 
Frankfurt am Main, 2004

 




auf online Quellen wurden ein letztes Mal zugegriffen am 17.10.2019