honeycreeper

sound draft, written essay


Anfang 2024 wurde ein Green Honeycreeper (der auf deutsch weniger ansprechend den Namen Kappennaschvogel trägt) in Kolumbien gesichtet – zuerst einmal nichts außergewöhnliches, handelt es sich bei dem gesichteten Exemplar doch um ein besonderes Tier. Forscher*innen haben den Vogel als halb männlich, halb weiblich beschrieben. Die Federn des Vogels sind genau in der Mitte geteilt, mit blauen Federn, die typisch für Männchen sind auf der einen, und den grünen Federn der Weibchen auf der anderen Seite.
Der Vogel ist ein sogenannter Gynander – so wird es bei Tieren bezeichnet, wenn sie das weibliche und männliche Geschlecht in sich vereinen.
Die Sichtung des Green Honeycreepers macht Schlagzeilen und Online-Magazine nehmen den Vogel als Aufhänger, um Parallelen zu gesellschaftlichen Kategorien wie Queerness und Transness zu ziehen. So schreibt zum Beispiel das Online-Magazin The Swaddle: „A Bird Sighting Just Reaffirmed That Nature Is Queer” oder lgbtqnation.com: „Researchers discovered rare half-male, half-female bird & it is stunning - Look at this fancy little gentlethem!“
Die Aufmerksamkeit, die dieser Vogel erreicht, spiegelt die oftmals schwierige Beziehung der Themen Queerness und Natur wider. Wenn es um geschlechtliche Diversität geht, wird der Bezug zur Natur meist eher genutzt, um anhand bioligistischer Argumente transfeindliche Debatten zu führen und die vorherrschenden Geschlechterrollen als „natürlich“ gegeben also als einzig „wahre“ oder „echte“ Identitäten darzustellen und dadurch Identitäten jenseits der Kategorien endo-cis-Mann/Frau zu delegitimieren. Menschen, die aus diesem System ausbrechen (wollen), sollen in dieser patriarchalen Erzählung keinen Platz in der Gesellschaft finden.
 
Mit dem Green Honeycreeper wird das Vorkommnis von geschlechtlicher „Uneindeutigkeit“ in der Natur als Beweis und Gegenargument gefeiert, dass, wenn sogar in der Natur die geschlechtliche Binarität nicht die einzige Realität von Lebewesen darstellt, auch Menschen, die sich als trans* oder queer verorten real, weil natürlich sein müssen.
Als ich zum ersten Mal vom Honeycreeper las, habe auch ich die Freude und das Gefühl der Bestätigung in mir gespürt. Männlich und weiblich gleichzeitig – ich hab’s euch doch allen gesagt!
Aber dann dachte ich an Paul B. Preciado:
 
„Lassen Sie mich Ihnen sagen, dass es Homosexualität und Heterosexualität nur innerhalb einer binären und hierarchischen Taxonomie gibt, der es darum zu tun ist, die Herrschaft des Paterfamilias über die Reproduktion des Lebens zu sichern. Homosexualität, Heterosexualität, Intersexualität und Transsexualität gibt es nicht jenseits einer kolonialistischen und kapitalistischen Epistemologie, die bestimmte sexuelle Reproduktionspraktiken als Strategie des Bevölkerungsmanagements, der Reproduktion der Arbeit, aber auch der konsumierenden Bevölkerung privilegiert. Es ist das Kapital, das sich reproduziert, nicht das Leben. Jene Kategorien sind die von der Macht festgeschriebene Karte, nicht das Gebiet des Lebens. Wenn es aber Homosexualität und Heterosexualität, Intersexualität und Transsexualität nicht gibt, wer sind wir dann? Wie lieben wir? Malen wir es uns aus.“ (aus Ein Apartment auf dem Uranus)
 
Wenn trans* sein nur existiert, weil es die gesellschaftlichen Kategorien cis-Frau und cis-Mann gibt, was soll das über einen Vogel aussagen? Oder vielmehr: Was sagt die Einordnung dieses Vogels in die Kategorie über unser Verständnis von Kultur/ Natur und Gender aus?
Was bedeutet es, dass auch in queeren Diskursen immer wieder auf biologistische Erzählungen zurückgegriffen wird?
Bedeutet Queerness nicht auch für mich das Aufbrechen und Auflösen der Kategorie Geschlecht an sich?
Hat nicht das Konzept von Queerness sogar in sich, sich gegen jede Form der Kategorisierung querzustellen, sich ihr zu entziehen, sich gegen jede Festschreibung, jede Einengung, gegen jedes Pressen in starre Identitäten zu widersetzen?
Was macht es mit mir als queere Person mit meiner Beziehung zur Natur, wenn sich Natur in dieser Gesellschaft ausschließlich durch Kategorisierungen, Bestimmungen und Taxonomien auszeichnet?
Am Ende schreiben wir dem Honeycreeper irgendein Geschlecht zu. What would they say?
 
Inspiriert von diesen Fragen möchte ich mich in dieser Arbeit mit den Themen Natur und Queerness auseinandersetzen und diese künstlerisch verarbeiten.
In diesem Projekt stehen klanglich Naturaufnahmen im Vordergrund: Vogelstimmen und Straßenlärm werden aufgenommen und per Audiobearbeitungssoftware verfremdet, vermischt und mit elektronischen Sounds in neuen Kontext gesetzt.
Dabei steht für mich die Frage „Was bedeutet „Natürlichkeit“ für mich heute auch in Bezug auf Klang?“ im Vordergrund.
Die vorhandene Audio-Skizze dient als Ausgangspunkt für eine Klanginstallation, die mit verschiedenen im Raum verteilten Lautsprechern arbeitet, um die (klanglichen) Grenzen und Übergänge zwischen Natürlichkeit und Konstrukt verschwimmen zu lassen und räumlich erfahrbar zu machen.

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